Trendkommentar 2 / 2012
Bei den "neuartigen" Abrechnungsmethoden schauen die Studiobetreiberinnen ins Ofenrohr: ein Plädoyer für die Fairness
Seit den ersten deutschen Tanzversuchen im Orientalischen Tanz, der damals noch Bauchtanz hieß, gehören Gastlehrerinnen als fester Bestandteil der "Szene" dazu. Input war schließlich immer wichtig, sei es für die eigene Entwicklung und Verbesserung oder für neue Ideen und Trends. In Ermangelung von - in dieser Zeit noch raren - Oriental Studios mietete frau Turnhallen und Fitnessräume an oder "ging fremd" in anderen Tanzstudios.
Ein Wochenende mit 8 Stunden Unterricht kostete 1985 in München satte 80 DM. Das war relativ viel Geld. Und die Dozentinnen verdienten extrem gut. Denn einen Mangel an Schülerinnen gab es nicht, 20 bis 30, manchmal gar noch mehr Teilnehmerinnen, die sich in überfüllten Räumen gegenseitig auf die Füße stiegen, waren die Regel. Manchmal waren die Workshops unterteilt in Anfänger, Mittelstufe und Masterclass. Die Unterscheidungen interessierten niemanden wirklich, denn eine Masterclass existierte zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht. Alles nahmen alles mit, was sie kriegen konnten.
Abgerechnet wurde mit 70% zu 30%. 70% für die Dozentin, die davon ihre Fahrtkosten (und ggf. ihre Übernachtung bezahlte, 30% für die Organisatorin, die davon ihre Werbung, ihre Raummiete und das Essen für die Dozentin sowie den später üblichen Kaffee & Kuchen-Service für die Teilnehmerinnen finanzierte. Für die "alten Hasen" unter den Studiobetreiberinnen, Sponsorinnen* und Organisatorinnen ist diese Abrechnungsart bis heute so selbstverständlich wie der Hüftschwung zum Orientalischen Tanz gehört.
Variationen davon gab es immer. Zum Beispiel wenn die Raummiete etwas teurer war oder Anfahrtskosten der Dozentin das durchschnittliche Maß überstiegen. Dann wurden (oder werden) die Kosten von beiden Seiten von den Gesamteinnahmen abgezogen und die 70%/30%-Teilung erfolgt(e) erst nach "Bereinigung" der Einnahmen.
Vereinzelt gab es auch mal "Stars", die 80% der Einnahmen beanspruchten, dazu ein Hotelzimmer plus eine Stadtbesichtigung, aber die meisten Studiobetreiberinnen organisierten selbiges in der Regel auch nur einmal, dann hatten sie die Nase von den Allüren voll. Denn bereits in den frühen 1990ern wurden Stimmen laut, die meinten, dass eine 60%/40%-Teilung eigentlich gerechter sei, denn was täten die Tänzer/innen ohne die unermüdlichen Organisatorinnen, die ihnen durch ihre Arbeit und die Zuführung der interessierten Schülerinnen überhaupt erst ihren Lebensunterhalt ermöglichten?
Nun findet man seit geraumer Zeit Tendenzen, die diese altbewährte, gerechte und faire Abrechnungsweise zu untergraben und auszuhebeln versuchen. Dies geschieht z.B. durch Fixpreise - einseitig zugunsten des/der Dozenten/Dozentin.
Variation 1 davon ist ein Gesamtfixpreis für den kompletten Workshop. Mit diesen Deal hat die Organisatorin sozusagen die A-Karte ebenfalls komplett. Hat sie womöglich noch einen schriftlichen Vertrag gemacht, kann sie gucken und rödeln, wie sie genug Schülerinnen (zum meist überhöhten Preis) heranschafft, sonst hat sie nicht nur keine 30%, sondern zahlt unter Umständen aus eigener Tasche noch drauf, ganz davon zu schweigen, dass sie die Arbeit für Herrn oder Frau "Star" dann kostenlos gemacht hat. Und wenn sie glücklich genügend Schülerinnen zusammengekratzt hat, fehlt häufig der entsprechende Raum. Und bei wem beschweren sich die Teilnehmerinnen dann, dass sie in der fünften Reihe nichts mehr gesehen und noch weniger von den Erklärungen verstanden haben? Leider nicht beim raffgierigen Dozenten, sondern bei der Organisatorin!
Was mich im Übrigen zu der Überlegung veranlasst, dass es schon verwunderlich ist, dass es bei der steigenden Anzahl an Yoga-Treibenden und angeblich spirituell angehauchten OT-Lehrerinnen doch noch so viele gibt, für die das Yogawort "jeder soll nur soviel nehmen, wie er zum Leben braucht" (santosha - Genügsamkeit) genauso viel Auswirkung auf ihre Handlungen hat wie bei manch (bekannten) Firmenchefs mit ihren "Liebe & Respekt"-Plattitüden. Und auch wenns jetzt mega-uncool klingt: Habgier ist die Nummer Zwei bei den Todsünden, bzw. bei den sieben Hauptlastern, aus denen die sieben Todsünden entstehen.
Habgier, Raffgier, Habsucht oder Raffsucht wird definiert als das übersteigerte Streben nach materiellem Besitz und ist eng verwandt mit dem Geiz, der übertriebenen Sparsamkeit und dem Unwillen, zu teilen....
Aber weiter im Text.
Variation 2 von der Fixpreis-Methode kommt erst mal relativ harmlos daher, indem sie nur einen festen Preis pro Teilnehmerin verlangt. Und dieser liegt vielleicht nur geringfügig höher als die 70%.
Das kann jedoch unheimlich täuschen, denn selbst wenn dies nur ein paar Euro ausmachen, sind es eben am Ende nur 25%, was für die Organisatorin bleibt. Beispiel: eine Dozentin verlangt pro Teilnehmerin 90 Euro und der Workshoppreis für 8 Stunden ist mit 120 euro sowieso schon über den ortsüblichen Preisen, dann schaut die Organisatorin ins Ofenrohr. Da bleibt ihr nur 1/4 der Einnahmen. Um auf ihre 30% zu kommen, müsste der Workshop dann 129 Euro kosten. Das sieht nach unerheblichen Unterschieden aus, aber das täuscht, der Stundenpreis ist über 1 Euro höher und bei 10,15 Teilnehmerinnen summiert sich diese Kleinigkeit ganz gehörig.
Das Argument mit dem erheblichen Vorbereitungsaufwand und deswegen erhöhten Preisen kann hier nicht punkten. Man darf zum Einen grundsätzlich gut vorbereitete Dozenten erwarten und zum Anderen kann ein Klempner auf nicht bei jedem Rohrschaden seine 3 Jahre Lehrzeit dazurechnen. Und wenn es sich um Projekte handelt, umso weniger! Denn Projekte bereitet man 1 x vor, unterrichtet sie aber vielfach und modifiziert sie nur geringfügig nach Bedarf.
Geradezu obszön ist es dann, wenn zusätzlich zu diesen schon verminderten Einnahmen der Organisatorin noch die Erstattung der Fahrtkosten von ihr gefordert wird. Denn dadurch rutschen die Einnahmen der Sponsorin* je nach Fortbewegungsmittel und Wegstrecke fast gänzlich ins Charikative. Weitere 6-10% Abzug sind bei den heutigen Bahn- und Benzinpreisen dann das mindeste, was zusätzlich von ihrem Arbeitsentgelt weggeht. Und unterm Strich hat sie dann weniger als 20%, wovon sie Werbung, Raummiete, Übernachtung und Verpflegung für die Dozentin und den Kaffee & Kuchen-Service für die Teilnehmerinnen bezahlen darf.
Um beim Rechenbeispiel mit dem 8-Stunden-Workshop-Preis von 120 Euro zu bleiben:
14 Teilnehmerinnen x 90 Euro für die Dozentin = 1260.- Euro. Ausgaben und Risiko: keine.
14 Teilnehmerinnen x 30 Euro für die Organisatorin = 420.- Euro, abzüglich der Fahrtkosten ca. 80.- Euro = 340.-Euro. Ausgaben und Risiko: Werbung, Essen und Übernachtung für die Dozentin, Studiomiete und/oder Putzfrau, Kaffee & Kuchen-Service für die Teilnehmerinnen. Alles abgezogen bleiben für die Organisations-Arbeit, die auch insgesamt auch locker 8 Stunden in Anspruch nimmt, höchstens müde 100-200.- Euro.
Also Hände weg von Abmachungen, die das Risiko einseitig auf Seiten der Organisatorinnen sehen wollen, wie es leider auch gerne in USA gehandhabt wird. Ein fairer Deal sieht anders aus!
Natürlich muß es sich für die Dozentin lohnen, und sicher kann man einen Mindest-Stundenlohn abmachen. In Deutschland liegt der Mindestselbstbehalt für einen berufstätigen Erwachsenen jedoch bei 980 Euro (im Monat, nicht am Wochenende...) und wenn jemand bei 70%/30% bereits einen Stundenlohn von 147 Euro hat, wozu muß das noch getoppt werden durch eine 75/25-Regelung (wodurch der Stundenlohn für die Dozentin dann auf 157 Euro steigt), wodurch der Anteil der Organisatorin entsprechend schrumpft?
Und: muß jemand, der ein durchschnittliches Arbeiter-Monatsgehalt an einem einzigen Wochenende verdient, auch noch seine Fahrtkosten von der Sponsorin* herauspressen?
Meine Meinung dazu ist ein klares Nein. Denn mit diesen uralten kapitalistischen Tricks kommt durch die Hintertür eine 80%/20%-Abrechnung herein, die für die Organisatorinnen nicht akzeptabel ist. Schlimm genug, dass es in Deutschland Zeitarbeitsfirmen gibt und der Ausbeute und Abzocke, die in jahrzehntelangen langwierigen Arbeitskämpfen stark vermindert wurde, jetzt wieder Tür und Tor geöffnet wurde. Wir brauchen nicht noch mehr unfaire Abzocke in der Orientalischen Tanzszene nach schlechtem amerikanischem Vorbild!
Und: gegen ungerechte und unfaire Abrechnungen kann und muß man sich auch "danach" noch wehren (dürfen). Dies mag rein vertragsrechtlich und bürokratisch ungesetzlich sein, aber UNRECHT ist es nicht.
Besser und gerechter für alle ist das bewährte 70%/30%-Modell, in dem jede(r) ihre/seine Kosten selbst trägt, eventuelle Härten moderat angepasst werden können und mit den ortsüblichen Preisen weder Dozentin noch Sponsorin* und auch die Teilnehmerinnen nicht über den Tisch gezogen werden!
(Das Wort Sponsor wird hier im Sinne von "Unterstützer, Förderer, Organisator" benutzt)
©Havva-2012