Trendkommentar 1 / 2012
Als ich Anfang der 90er meinen ersten Workshop in Ossiland - genauer - in Chemnitz - gab, war ich überrascht - und auch etwas irritiert - über die dort herrschende Disziplin. Kein Geplapper im Unterricht, allerdings auf meine Fragen und Aufforderung: "Sollen wir etwas wiederholen? Gibt es ncoh Fragen? Ist noch etwas unklar?" kam auch nie eine Antwort. Am Ende des Workshops standen alle in Reih und Glied und gaben mir zum Abschied alle die Hand, manche verbeugten sich gar.
Ey, wo war denn hier der Spaß? Wieso wollten die denn überhaupt orientalische tanzen? fragte ich mich. Solches Verhalten passte doch viel besser zu Pfadfindern oder etwas ähnlich militärischem.
Das hieß also, die Ossifrauen hatten früher, im Gegensatz zu uns Wessis, zwar Kindergartenplätze und alle eine Arbeitsstelle, aber vom Spaß am Frausein war hier selbst in den 90ern noch nicht viel zu spüren.
Gleichwohl boomt der Orientalische Tanz im Osten der 1990er Jahre ebenso, wie er 10 Jahre davo im Westen zu boomen begonnen hatte.
Ein Tanz für Frauen! Nein, DER Tanz für Frauen! Ein Tanz nur für uns! Und in den unzähligen Zeitungsartikeln (ich habe sie Ordnerweise zu Hause) wurden Frauen nicht müde, begeistert zu schildern, was der orientalische Tanz in ihrem Leben positives bewirkt hatte. Dietlinde Karkutli (†1997), Pionierin des OT in Deutschland, beschrieb in der Sendung "Menschenskinder" 1985 oder 86..."....der Tanz, der ist zuerst einmal für mich. Er geht rein, ins Herz, tiefer, in den Bauch....". Von wegen "Make your husband a sultan". Zur Erinnerung für die später Geborenen: die 80er waren der Höhepunkt der deutschen Frauenbewegung, die ihren Anfang wiederum in den 1968ern hatte.
Frauenbewegung und OT waren allerdings schon ein schwieriges Thema. Während die eine Fraktion die Wiederentdeckung der Weiblichkeit feierte, verurteile die andere die Frauen, die sich in aufreizenden Kostümen den Männern selbst zum Objekt darboten und sich somit degradierten. Für mich war das richtig blöd. Einerseits war ich überzeugt Hardlinerin, verhalf Frauen zur Abtreibung in Holland und wäre wegen einschlägiger "Schwanz ab"-Parolen am Schwarzen Brett beinahe von der Bildhauerschule geflogen.
Anderseits zog mich dieser Tanz magisch an. Die Bewegungen (korrekt oder nicht) gefielen mir, fielen mir leicht, gaben mir Energie, entwickelten mein Körpergefühl, schenkten mir Selbstbewußtsein. Sehr früh begann ich zu unterricht und wollte diese Erfahrung weitergeben, teilen, andere mit meiner Begeisterung anstecken. Bauchtanz war nur gut. Für und gegen alles. Gegen Regelschmerzen, Liebeskummer, verspannten Rücken, schlechte Haltung. Für Selbstbewusstsein, besseren Sex und eine Multiplikation der Körpererfahrung.
Das Beste aber war: zum Bauchtanz brauchte frau keinen Mann! Wie das Leben so spielt, war ich - notorisch tanzwütig - immer an tanzuninteressierte und/oder unbegabte Männer geraten. Jetzt war das kein Problem mehr: frau konnte tanzen gehen ohne einen eifersüchtigen "Alten" an der Backe zu haben. Da waren ja Frauen unter sich. Keine anderen Männer da. Kein Grund zur Eifersucht! Wirklich? Nun gut, einige Ehemänner fühlten sich doch irgendwie "außen vor" und neideten den Frauen diese Erfahrung, die bei ihnen seltsame Ängste weckte, von welchen "mann" vorher nichts geahnt hatte (und die mann selbstredend auch hinter "sachlichen" Argumenten zu verbergen trachtete).
Aber zumeist wurden die Frauenfeste, die damals die Norm waren, nicht so wirklich ernst genommen (es muß hier unbedingt festgehalten werden, dass die Stimmung auf Frauenfesten auch heute noch mindestens 10x besser ist als bei gemischten Festen).
Kurz und gut: ein Ort, wo viele Frauen sind und Spaß haben, zieht Männer an wie die Motten das Licht. In patriarchalen Systemen kann es nicht angehen, dass Frauen miteinander Spaß haben, ohne Kontrolle - von Männern!
Schließlich wissen Männer in aller Regel ALLES besser. Deshalb wissen Männer auch besser, wie ein Frauentanz aussehen muss und auch, wie die Frauen auszusehen haben, die diesen Tanz tanzen.
Wobei wir hier zwischen zwei Sorten Männern unterscheiden müssen:
1. Mann-Männer, die einfach, weil sie a) Männer sind und b) vielleicht noch Orientalen oder c) Tänzer sind oder schon getanzt haben, alls besser wissen und
2. Männer, die einfach die "besseren Frauen" sein wollen und dies ständig aufs Neue allen zeigen müssen.
Ist es Euch schon mal aufgefallen: Millionen Frauen kochen täglich für ihre Lieben, niemand verliert darüber ein Wort. Eine Handvoll Männer kocht auch - aber die spielen sich gleich zum Oberkoch und Chef auf und verteilen Noten an die anderen. Dies liegt sicher nicht daran, dass Männer besser kochen, sondern schlicht und ergreifend daran, dass ihr Ego größer ist und dass sie lauter schreien und sich besser verkaufen können.
Und: Grundsätzlich kann man ihnen dies nicht mal vorwerfen. Wenn man sich eine Weile mit Primatenforschung beschäftigt hat (z.B. Franz de Waal, "Der Affe in uns"), weiß man, dass dies sogar in der menschlichen Entwicklung mehr oder weniger bedingt ist. Und die Ähnlichkeiten von Primatenverhalten zu menschlichem Verhalten sind verblüffend und erschreckend zugleich.
Während die Bonobos weniger mit Angeberei agieren, tun dies die Schimpansen umso mehr. Und wie verhalten sich die Damen der jeweiligen Gesellschaften? Kein Problem bei den Bonobos, sie sind frauenrechtlich orientiert. Die Frauen verteilen das Futter, die Männchen nehmen, was sie bekommen. Konflikte werden mit Sex gelöst, auch unter Frauen.
Ganz anders die Schimpansen. Rangkämpfe der rivalisierenden Kandidaten um die Führung werden mit teilweise brutalsten Mitteln geführt. Und die Damen hier: um zu überleben, bilden sie ein Netzwerk, indem sie sich als Gemeinschaft gegenseitig schützen und ihre Interessen verfolgen. Dies nicht nur, wenn es um den Nachwuchs geht, sondern auch um das soziale Miteinander.
Oft geht es bei Primaten wie bei Menschen den Männchen nur um Prestige, Image und Macht, den Frauen um das Wohlergehen von Gruppe und Kindern und den Erhalt des Friedens zur eigenen Sicherheit. Wusstet Ihr, dass bei Treffen hoher Politiker oft Primatenforscher dabei sind? Die können nämlich oft die besseren Voraussagen über die Reaktion der anderen treffen.
Nun, da wir aber unseren Genen nicht zu 100% untertan sein müssen, sondern ein etwas weiter entwickeltes Gehirn besitzen, sollten wir dieses doch auch mal für uns nutzen. Zum Beispiel, in dem wir uns fragen:
- Müssen wir im OT tun, was Männer uns vorschreiben wollen?
- Müssen wir uns sagen lassen, mit welchem Alter, welcher Figur, welcher Erfahrung, welchem Können wir anderen etwas vortanzen dürfen? Oder wei gefährlich sind Freizeitlehrerinnen wirklich?
- Müssen wir uns sagen lassen, was schön, gut, sexy ist? Dicke, nicht genormte, kleine, kurzhaarige.....Frauen, die weder optisch noch tänzerisch was hermachen, scheinen doch offensichtlich eine irre Bedrohung für manche zu sein....!!!
- Wollen wir weiterhin Geld in Workshops von Männern tragen, die arrogant, überheblich und frauenfeindlich sind?
- Brauchen wir überhaupt Männer im OT? Für was?
Also bevor mich jetzt jemand als sexistisch abstempelt: dies sind nur Fragen, die ich in den Raum stelle! Ich bin hetero, habe drei Kinder und die wenigste Zeit im Leben war ich mann-frei (mann-los?). Aber diese offensichtlich unausrottbare Überheblichkeit männerlicherseits korrespondiert leider immer noch mit der Unsicherheit viele Frauen. So braucht manch vermeintlich selbstständige und selbstbewusste Frau scheinbar einen "Papa", der ihr sagt, wo´s lang geht. "Papa" war früher nicht da, aber er weiß es trotzdem immer besser und hängt den Brotkorb (die Anerkennung) hoch. Mama hatte leider selbst kein Selbstbewußtsein, deshalb gilt das, was Mama sagt (sie fungiert stellvertretend für alle anderen Frauen), nicht halb so viel.
Also, wenn mich schon ganz normale, nicht-tanzende (Ehe-)Männer fragen: Ey, wieso lasst Ihr Euch das bieten?, dann ist die Gehirnwäsche bei uns Frauen möglicherweise schon ziemlich fortgeschritten!?
Und das bedeutet nichts anderes als:
FRAUEN ! AUFWACHEN! Rückbesinnen! Grenzen setzen! Nachdenken! Neu orientieren!
©Havva2012